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Info „Kleine Türkei“

Eine wichtige Information für auswärtige Gäste unserer Homepage bzw. unserer Karnevalsveranstaltungen:

 

Wenn ihr auf unseren Seiten die Begriffe „Die Kleine Türkei“, „Türken“, „Türkenmariechen“ oder ähnliche Formulierungen findet, so hat das nichts mit Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Verachtung unserer ausländischen Mitbürger zu tun. Von solchen Tendenzen oder Einstellungen distanziert sich die Karnevalsgemeinschaft Bevergern e.V. ausdrücklich. Wir heißen grundsätzlich jeden „Jecken“ auf unseren Veranstaltungen willkommen! Das ist schließlich der Sinn des Karnevals…

Zur Erklärung:

Der Begriff „Die Kleine Türkei“ und alle damit zusammenhängenden Formulierungen stammen mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Zeit der Türkenkriege (16. – 18. Jahrhundert).  Seit dieser Zeit wurden die Bewohner Bevergerns häufig als „Türken“ bezeichnet bzw. beschimpft.  Diese „üble“ Angewohnheit hielt sich über Jahrhunderte.

Doch Dank der Dickfelligkeit der Bevergerner hat man kurzerhand über die Jahrhunderte aus der Not eine Tugend gemacht und nennt sich jetzt selbstbewusst und stolz „Die Türken“ und verwendet eben während der Karnevalszeit Begriffe wie „Die Kleine Türkei“ oder „Türkenmariechen“ statt „Funkenmariechen“.

Wer noch mehr zu diesem interessanten Thema erfahren möchte, liest die von Heinz-Josef Reckers verfasste Zusammenstellung historischer Fakten zum Thema „Kleine Türkei“.

Zusammenstellung historischer Fakten:

Für die Bezeichnung Bevergerns als ‚Kleine Türkei’ gibt es zwei Deutungen, die aber den gleichen Ursprung haben. Es handelt sich um die Bedrohung des Abendlandes durch das Osmanische Reich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, den ‚Türkenkriegen’.

Auf Seiten der kaiserlichen Truppen zogen auch fürstbischöfliche Regimenter in Österreich und Ungarn gegen die Türken. ‚Kanonenbischof’ Christoph Bernhard von Galen (reg. 1650-1678) wurde 1663 wegen seiner militärischen Erfolge zum Direktor des Reichskriegsrates ernannt[1]. Im Großen Türkenkrieg 1683-1699 kämpften mehrere Tausend münstersche Soldaten. Nicht selten brachten Offiziere von ihren Feldzügen in Ungarn gefangene Türken (sog. ‚Beutetürken’)[2] mit, meist elternlose Kinder, die dann nach ca. zwei bis drei Jahren in Deutschland die Taufe empfingen (sog. ‚Türkentaufe’). Als Taufpaten fungierten die Spitzen der Gesellschaft. Von 1670-1698 sind im westfälisch-lippischen Raum 16 Türkentaufen nachweisbar; im ganzen Reich über 600. Der Nachweis gestaltet sich meistens recht schwierig, da den ‚Türken’ bereits nach kurzer Zeit – spätestens mit der Taufe – deutsche, christliche Namen gegeben wurden[3]. Auch im hiesigen Bereich ist eine Taufe bekannt geworden. Die Gravenhorster Äbtissinnen und die adligen Klosterfrauen übernahmen in vielen Fällen die Patenschaft für Kinder ihrer Bediensteten und Eigenhörigen. Zwischen 1657 und 1730 sind sie bei 45 Taufen Patinnen. Am 11.05.1689 ist die Äbtissin Anna Margareta Elisabeth von Boeselager (1685-1697) Patin „bei einem Türken, vom Hauptmann von Boselage aus Buda herbeigeführt, bei der Äbtissin Anna Elisabeth von Boselage in Gravenhorst ziemlich lange gesittet und von Pater Herman im kath. Glauben unterrichtet, nach höherer Erlaubnis getauft und Leopoldus Bernhardus genannt durch Pastor Henrich Bettinck“[4].

Es liegt auf der Hand, dass die Türken auch in der Bevergerner Burg, der damals größten im Fürstbistum Münster, als Lakaien, Köchinnen, Stallknechte oder Wachsoldaten Arbeit fanden.

In den Münsteraner Truppen dienten auch Soldaten aus der Burg und Bürger aus Bevergern. In der Bevergerner Kirche ist ein Gedenkstein (Kartusche) angebracht, der an den Hauptmann Bernard Deiters erinnert: ‚Unter dem Befehl des Grafen Fürstenberg [1629-1704] fiel Bernard Deiters in der Schlacht von Komorrae[5] in Ungarn im Jahre 1685’[6].

In einer Urkunde des Klosters Gravenhorst von 1661 wird von zwei Schatzungen (sog. ‚Türkensteuer’) über 166 Reichstaler im Kirchspiel Riesenbeck berichtet, die „zur Hinführung der Kriegsvölker nach Ungarn zum Kampf gegen den Erbfeind dienen“[7].

In einer weiteren Urkunde von 1663 findet ein ‚Türkengarten’ (Thierkengarten) in Bevergern Erwähnung[8].

Im Rahmen der Sippenforschung wurden auch die Nationalsozialisten auf ein längst vergessenes Kapitel deutsch-türkischer Geschichte aufmerksam. 1938 entstand u. a. die Schrift: ‚Beimischung türkischen Blutes in deutsche Familien’[9]. Über Bevergern wurde zu dieser Zeit ein Manuskript für den „Reichsberufswettkampf der deutschen Studenten 1937“ mit dem Titel: ‚Der Lebensraum einer westfälischen Kleinstadt’ herausgebracht[10].

Hierbei ist jedoch kritisch anzumerken, dass es sich bei den Autoren um fünf Studenten des „SA-Sturmbannes I/12 in Münster“ handelt.

Im Kapitel ‚Volk und Brauchtum’ heißt es u. a.: „Die Bevergerner oder wie sie der Volksmund nennt ‚Türken’ bilden in jeder Hinsicht eine Enklave inmitten der benachbarten Gemeinden. Nicht nur in ihrer Sprache, einem besonderen Platt, prägt sich diese Sonderstellung aus. Im Auesseren stellt ein Teil der Bevölkerung des Städtchens den Typ des echten Westfalen dar, mit kräftigem, gedrungenem Körperbau, kurz der fälischen Rasse zugehörig. Ein anderer Volksteil sticht, auch für den Laien erkenntlich, von den üblichen Westfälingern ab. Es sind dies die als Türken bezeichnenden Leute von mittlerer Grösse, schlank, brünett, mit tiefschwarzem Haar und oft fast mongolischen Gesichtszügen. Man führt diesen fremdrassigen Einschlag in der Bevölkerung nach den Angaben der Leute selbst auf die einstige Besatzung der Burg und die spanischen Kriegsvölker zurück, die derartige fremdrassige Elemente in ihren Reihen wohl geführt haben werden. […] In zahllosen Meinungsverschiedenheiten und Reibereien haben die ‚Türken’ auch nach den Angaben der Gegner stets wahren Zusammenhalt und Einsatz Aller für Einen bewiesen und sind darum meistenteils aus diesen lokalen Zwistigkeiten als Sieger hervorgegangen. Der Name Türke, einst in spöttischer Absicht Herkunft und Stellung kennzeichnend, wird von den Bevergern[ern] heute ganz allgemein auch untereinander gebraucht und ist zum Symbol ihrer Sonderstellung in der näheren und weiteren Umgebung geworden.“

Für Personen, die nicht in Bevergern geboren und von außerhalb zugezogen sind, wird schon mal gerne der Begriff ‚Rucksacktürke’ verwandt.

Ein ‚richtiger’ Bevergerner ist man erst, wenn man die ‚Türkentaufe’ mitgemacht hat. Dies passiert vornehmlich bei den Schützenfesten, wenn in der Bevergerner Aa das traditionelle Fischen stattfindet und man mehr oder weniger ein unfreiwilliges Bad in der Aa nimmt.

Seit 1927 bringt die Karnevalsgemeinschaft die Zeitung „Das Auge der kleinen Türkei“ heraus. Die erste noch vorhandene Ausgabe von 1929 trägt den Titel „Narrenspiegel der Türkei“[11].

Stand: 16.02.2016

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[1] KOHL, Wilhelm: Christoph Bernhard von Galen; Verlag Regensberg Münster; 1964; S. 177; zusammen mit dem  Markgrafen Friedrich von Baden-Durlach

[2] WIKIPEDIA; ‚Beutetürken’

[3] HELLER, Hartmut: Carl Osman und das Türkenmariandl; in: ‚Die Zeit’ v. 04.09.2003

[4] WEGMANN, A.: Gravenhorster Äbtissinnen als Taupatinnen; in: Festschrift zum Tecklenburger Kreisheimattag; Gravenhorst 1956; S. 26

[5] Es handelt sich um die heutige nordungarische Grenzstadt Komarom (ca. 20.000 Einwohner) und die südslowakische Grenzstadt Komarno (ca. 35.000 Einwohner)

[6] BERN. DEITERS SUB COMITE A FURSTENBERG CONTRA TURCAS MILITANTE KOMORRAE IN UNGARIA PIE MORIENS HANC STATUAM PONI CURAVIT 1685

[7] WOLF, Manfred: Die Urkunden des Klosters Gravenhorst; Nr. 456; Münster 1994

[8] WOLF, Manfred: Die Urkunden des Klosters Gravenhorst; Nr. 470; Münster 1994

[9] SPOHN, Margret: Türken/innentaufen in Deutschland; in: ‚Alles getürkt’; Diplomarbeit; Universität Oldenburg 1993

[10] Bevergern; Der Lebensraum einer westfälischen Kleinstadt; Münster 1937; Original in der Bibliothek des Institutes für Geographie an der Universität Münster; Signatur Wn 28; Kopie beim Verfasser

[11] kg-bevergern.de; Festschrift 400 Jahre Fastnacht in Bevergern (1599 – 1999); Karnevalsgemeinschaft Bevergern; 1999

Informationen zusammengestellt von Heinz-Josef Reckers